Reisebericht Femundsee Trekkingtour – mal nicht ultraleicht

War früher alles besser oder leben wir heute nicht in einer Welt, die so viel besser ist und mehr Möglichkeiten bietet als je zuvor?

Bild: Roland Häfner

                                                                                                                                                    Eine Frage, die in meinem heutigen Bericht genau eine Antwort hat.

9-Nadel-Drucker

Denn genau auf so einem Drucker hat Roland damals den Reisebericht zur Norwegenfahrt meiner Pfadfinder-Sippe „Grizzlies“ ausgedruckt, ausgeschnitten und in ein A5-Herlitz-Heft geklebt. Zusammen mit ein paar Bildern, die auf einer analogen Spiegelreflexkamera geschossen wurden, liegt da jetzt ein Stück Nostalgie vor mir auf dem Schreibtisch.

Es geht um nichts weniger als meine erste richtige Trekking- und Kanutour.                   

Wir schreiben das Jahr 1987 und vom 11.-31.7. sind wir in Norwegen unterwegs. Mit „Zelt“, Rucksack und allem was dazu gehört. Ich bin zwölf, wie die meisten anderen in der Gruppe auch. Unser Sippenführer Detlef ist noch nicht volljährig, aber wir haben ja Roland dabei. Roland ist Saschas Vater und hilft uns 7 Trekkingprofis zu bändigen.

Anreise

Ist klar, dass ich kurz davor bin eine Lupe rauszuholen oder den Weg zum Augenoptiker anzutreten als ich die ersten Seiten unserer Fahrtenchronik (wie man das in Pfadfinderkreisen nennt) im Jahr 2019 durchblättere. Ich schieb das mal auf besagten 9-Nadeldrucker und die megakleine Schriftart, die Roland gewählt hat.

Standesgemäss reisen wir damals mit dem Bus und der Fähre nach Norwegen. Wir starten am 11.7. um 7:00 Uhr und sind um 15 Uhr am nächsten Tag im Kanucamp am Femundsee. Nach gemütlichen 32 Stunden sind wir also da.

Kanus und Kothen

Bild: Roland Häfner

Es versteht sich von selbst, dass unsere Truppe nicht müde ist und wir sofort den Femundsee mit über 4m langen Kanus unsicher machen. Versteht sich auch von selbst, das es keinerlei Einweisung oder sonst was gibt. Keine auf Körpergröße angepasstem Paddel, dafür aber Schwimmwesten. Ebenso klar, das Roland und Detlef uns da vergleichsweise freie Hand lassen.

Wir bauen natürlich auch unser „Zelt“ auf, das ich nicht ohne Grund in Anführungszeichen setze. Es handelt sich um eine Doppelkothe. Eine Kothe ist ein aus 4 einzelnen Baumwollplanen zusammengebautes Zelt. Baut man zwei davin aneinander, dann haben wir ein monströs großes Gebilde. 🙂 Eine Plane wiegt hierbei im trockenen Zustand 2 kg. Natürlich hat eine Kothe, egal ob einzeln oder doppelt, keinen Boden und kein Moskitonetz. 

Bild: Roland Häfner

Warum in Herrgottsnamen nimmt man MItte August ein Zelt ohne Moskitonetz mit nach Skandinavien? Gibt es denn zu der Zeit keine Mücken in Norwegen? Haben wir da irgendwas nicht gewusst? Die Antwort lässt sich natürlich aus der Chronik herauslesen:

„Schon bald beschnuppern die Stechmücken die Neuankömmlinge neugierig und wir bekommen einen ersten Eindruck von der oft zitierten Mückenplage.“

Ein kleiner Einwurf aus 2019 von meiner Seite. Wahrscheinlich waren auch Gruppenleiter damals noch aus einem anderen Holz geschnitzt. Zum einen haben die ja im selben Zelt mit den selben Mücken geschlafen wie die Teilnehmer, zum anderen haben die ja auch keinen Schlaf bekommen für eine Weile. Wir hatten im August in Norwegen nämlich fast keine Nacht, es blieb einfach jeden Tag verdammt lang hell und dementsprechend lang müssen die Tage damals gewesen sein.

Das Abenteuer startet 

Mit einer 2-tägigen Kanutour gehts los. Und wieder einmal zeigt sich, das man 1987 halt einige Sachen anders gemacht hat. Wir paddeln also bei bestem Wetter über den See, suchen uns einen schönen Zeltplatz und nachdem unsere Gruppenleiter ein Bier im nahegelegenen Campingplatz-Kiosk getrunken und den Kids eine Limo ausgegeben haben wird gekocht. 

Ein Einwurf aus dem Off. Bier trinken während die Gruppe dabei ist geht heute natürlich auch nicht mehr.

Bild: Roland Häfner

Pichelsteiner Eintopf …. aus der Dose 🙂 

Warm gemacht in einem großen Hordentopf auf offenem Feuer direkt am See.

Und jetzt gibt die Chronik auch preis warum wir trotz Mückenplage überlebt haben. Während es tagsüber angenehm warm ist sinken die Temperaturen nachts auf 5-8 Grad ab. Zeit also für die Mücken nach Hause zu gehen.

Am nächsten Tag wird natürlich in 10 Grad kaltem Wasser gebadet, wieder auf offenem Feuer gekocht und das Abendessen selbst dann gegessen, wenn die komplette Ladung Nudeln beim Abgießen des Wassers im Sandstrand gelandet ist. Ist ja nicht überall Sand dran und wenigstens weiß ich schon seit 1987 wie es sich anfühlt, wenn man auf Sand beißt. Dank Mitternachtssonne gehen wir 12-Jährigen so wie es sich gehört auch erst gegen Mitternacht ins Bett und das folgende Bild zeigt eindrücklich, dass Schlafentzug auch an jungen Menschen nicht spurlos vorbei geht.

Bild: Roland Häfner

Tausche Kanu gegen Rucksack 

Nach 2 Tagen im Kanu bringen wir diese wieder zurück. Allerdings haben wir unsere Kothe aufgebaut gelassen und wandern zu unserem Zeltplatz zurück. Hier treffen dann auch andere Gruppen unseres Pfadfinderstammes ein und es gibt abends großen Lagerfeuer mit Singen und Gitarre. Als Abendessen gibt es Erbsensuppe…mit Trockenerbsen, die gefühlte 8 Stunden kochen müssen, damit sie weich werden.

Bild: Roland Häfner

Was in der Chronik etwas untergegangen ist, ist die Begegnung mit einer Norwegerin namens Marie. Diese lag in einem Schlafsack am Strand und wärmte sich dort nach dem Baden im kalten See auf. Unser Sippenführer Detlef und ich stellten uns die selbe Frage:

„Wie sieht es in dem Schlafsack aus?“

Detlef bezog das wohl eher auf die Frage, ob Marie ihren Badeanzug ausgezogen hatte oder nicht, während ich mir Gedanken machte, welche Füllung in dem Ajungilak-Schlafsack verbaut war (Hollofil, Quallofil?) und bis zu welcher Temperatur der Schlafsack wohl gut war.

Postbus und norwegische Gastfreundschaft

Mit dem Postbus geht es einen Tag später weiter nach Rena. Man könnte jetzt einfach, da es in Norwegen auch sowas wie das Jedermannsrecht gibt, irgendwo zelten. Aber es ist ja auch immer schön andere Kulturen kennenzulernen. Und somit fragen unsere Gruppenleiter am Bahnhof wo der nächste Bauer lebt bei dem wir übernachten können. Wir bekommen eine Adresse ungefähr 5km ausserhalb des Ortes und … werden dort freundlich aufgenommen. Wir dürfen unsere Doppelkothe aufbauen, haben ein WC und eine Dusche und Kontakt zu den Kindern des Bauern, die auch bei den Pfadfindern sind, was wir aber nicht wussten.

Das Zelt bleibt stehen und wir machen am nächsten Tag einen Tagesausflug. Auch spannend wieder die Entspanntheit unserer Gruppenleiter:

„Unser Ziel sind Badeseen, die mitten im Wald liegen. Da es keine direkten Wanderwege gibt, werden viele Kilometer einfach durch den Wald zurückgelegt.“

Ist vielleicht dem ein oder anderen Leser nicht klar. Aber 1987 gab es keine Navis, kein GPS und auch kein Handy mit dem man hätte Hilfe rufen können, wenn man sich verläuft.

Kothe im Regen

Wie kurz schon erwähnt ist eine Kothe ein Baumwollzelt. Ein für viele Leute schwer nachzuvollziehendes Ausrüstungskonzept in der heutigen  Zeit von hohen Wassersäulen, silikonisiertem Nylon und Windkanaltests.

Bild: Roland Häfner

Weil starker Regen angesagt ist, wird die Kothe geprüft, an erforderlichen Stellen abgedichtet und sturmsicher gemacht. Mit anderen Worten haben wir Kothenhäubchen aufgezogen und die Heringe nochmal fester reingedroschen.

Während man heutzutage wahrscheinlich erst mal ein Youtube-Video von dem Sturm und dem Hardcore-Regen einstellen würde, sah das Fazit 1987 anders aus:

„In der Nacht setzt starker Regen ein, wobei im Innenraum alles trocken bleibt.“ -> NO DRAMA 🙂

OSLO

Auch ein Abstecher in die Hauptstadt Norwegens war mit dabei und erst jetzt fällt es mit auf, dass wir neben dem ganzen Trekkingzeug auch 2 Gitarren dabei hatten. 2 Gitarren für eine Gruppe! Das nenn ich mal Prioritäten setzen.

Wir zelten auf einem Campingplatz, der über der Stadt liegt und haben einen tollen Ausblick. MIt der Oslo-Card müssen wir jetzt in den nächsten Tagen alle Sehenswürdigkeiten der Stadt abklappern.

Abschluß in Mysen

In Mysen treffen sich dann wieder alle an der Fahrt teilnehmenden Pfadfindergruppen auf einem Campingplatz und tauschen sich über ihre Fahrt aus, schwimmen im See, essen Erdbeeren und haben eine gute Zeit bevor es mit den Bussen wieder Richtung Heimat geht.

Bild: Roland Häfner

Es ist klar, dass ich alleine schon für alle, die dabei waren nur kurz einen Satz schreiben muss.

AUS MIR MACHT IHR KEINE BOOTE!

Da man wegen der Mitternachssonne eh so lange wach ist und das Wecken für den Abreisetag für 3.30 Uhr festgelegt wurde, damit das mit Bus und Fähre etc auch klappt, wird einfach durchgemacht 🙂 Wir sind ja schon 12 🙂

Fazit

Der Fisch wird bei jeder erneuten Erzählung größer, soviel ist klar. 

Bild: Roland Häfner

Ich hatte schon vor Lektüre der Chronik nach über 30 Jahren noch tolle Erinnerungen an unsere damalige Fahrt und diese sind durch das Lesen von Rolands Text noch verstärkt worden. Wenn ich mir das recht überlege, dann haben wir da eine sensationelle Tour hinter uns gebracht. Die Gründe hierfür sind für mich folgende:

  • Wir durften mit 12 Jahren offensichtlich fast alles machen ohne dass uns Erwachsene dabei in die Quere gekommen wären.
  • Das Programm war nicht durchgetaktet. Keine krasse Tourenplanung mit Zwang zum Kilometerschrubben. Unsere Gruppenleiter haben offensichtlich eine sehr gute Mischung aus Abenteuer und Spaß angepeilt.
  • Ich habe das nicht immer bewusst mitbekommen, aber bei den Pfadfindern bekommt man ein Plan-B-Bewusstsein. „Der Zug fährt nicht? Dann nehmen wir den Bus.“ „Da geht kein Weg hin? Dann laufen wir querfeldein.“ etc. Das war für unser Gruppenleiter sicher in Zeiten ohne Smartphone etc. nicht so leicht wie ich das jetzt beschreibe. Aber genau das ist es ja auch. Ein Plan-B muss nichts sein wovor man sich fürchten muss. Thruhiker auf dem Continental Divide Trail sagen immer „Embrace the brutaliy“. Das hört sich krasser an, ist aber im Kern dasselbe. Es gibt auf jeder Tour Sachen, die ausserhalb der eigenen Kontrolle liegen…akzeptiert das als Teil der Tour.
  • Ausrüstung?! Da muss ich mal einen gesonderten Artikel zu schreiben. Aber schaut Euch einfach mal die Bilder an. Es ist in den meisten Fällen nicht die Ausrüstung, die euch eine bestimmte Tour ermöglicht. Das seid ihr selber. „Cotton kills?“ Mich nicht!
  • Typ 2 Spaß. Auch damals war nicht alles lustig. Typ 2 beschreibt Aktivitäten, die keinen Spaß machen, die man aber gerne im Nachhinein erzählt. Not fun to do, but fun do talk about later. Alle Abenteuer haben Elemente von Typ 2 Spaß und ich bin froh, dass ich das schon so früh gelernt habe.